Alles XML oder was? Fast ein Jahr Open Data – ein Fazit

Am 15. Februar 2013 ist die Stadt Moers mit ihrem Open Data-Portal online gegangen – gleichzeitig mit Hamburg und kurz vor GovData. Zeit für eine Bilanz, persönlich, kommunal.

Nein, es ist kein Ruck durch Deutschland gegangen. Man könnte eher sagen, es ruckelt im Open Data-Getriebe der Republik. Drücken wir es blumiger aus: Der Samen ist gesetzt, aber nur ein zartes Pflänzchen lugt gerade eben über Bodenkrume. Nur sehr, sehr wenige Städte und Gemeinden sind seit dem Start von GovData mit neuen Angeboten in die Öffentlichkeit gegangen. Blicke ich hier am Niederrhein in die Runde, so hat bisher neben Moers keine der 42 Anwenderkommunen des Kommunalen Rechenzentrums Niederrhein den Schritt Richtung Open Data gewagt. Worin liegen die Gründe für die Zurückhaltung? Arbeitsaufwand? Kosten? Lizenzfragen? Technische Unsicherheiten?


Kulturwandel? Ja – vielleicht – nein.

All diese Dinge spielen sicher eine Rolle. Ganz bestimmt gibt es auch noch ein irrationales Element in den Spiel, ein Gefühl des Misstrauens gegenüber Prozessen der Öffnung, vor allem, wenn man dann auch noch von der Community getrieben wird (laut „Lexikon des ewigen Verwaltungshandelns“ wird Community ja bestimmt als „Undefinierbare Gruppe von selbsternannten Experten [Nerds, Hacker], die in oft radikaler Weise gegen bewährtes Verwaltungsdenken angehen – zumeist in unklarer, selten guter Absicht. Lieblingsgetränk: Club-Mate“). Daher schreien alle Digitalisten, Web-Evangelisten, Partizipationstreiber, OpenGovler und (eher wenige) Verwaltungsmenschen das Wort der Worte in den Äther: Kulturwandel!

Aber ich glaube, der Weg von mittelalterlicher Arkan-Denke hin zu einer Strategie der Offenheit ist gar nicht mehr so weit, wie die Twitter- und Bloggerszene meint. Überbordende kommunale Internetangebote, Ratsinformationssystem noch und nöcher, Online-Beteiligungen, Bürgerhaushalte, Anliegenmanagment, Foren, Social Media-Einsatz – all das (und noch mehr) spricht eigentlich eine andere Sprache! Mit gelassener Selbstverständlichkeit werden seit Jahre schon PDF-Haushalte in die kommunalen Websites eingespielt. Was, in Communitys Namen, soll den Kämmerer daran hindern, dasselbe Zahlenwerk nicht auch als XLM-Datensatz bereitzustellen? Die Antwort kann banaler sein als man denkt: Er fragt sich (bzw. mich), warum wir den Haushaltsplan denn auch als in XML-Form anbieten sollen, was ja schließlich (mindestens) den doppelten Aufwand bedeuten würde.

Worüber sprechen wir überhaupt?

Für das Nachfolgende gilt es im Kopf zu behalten, dass ich über eine größere, kreisangehörige Kommune spreche, keine Millionenstadt, kein Land, keine Bundesbehörde, keine kommunale GmbH, und damit – abwärts gedacht bis zu Kleinstgemeinden –geschätzt über 95 Prozent der kommunalen Landschaft.

Ich rede also von Bevölkerungsstatistiken, von uns erhobenen kommunalen Geodaten, Haushalt, Infrastrukturdaten, Statistiken aus dem Kulturbereich, Bebauungsplänen, Wahlergebnissen, Ratsinformationssystemen etc. Ich rede nicht von den Daten, die uns nicht gehören, sondern dem Land (Bildung, Umwelt, Wirtschaft etc.), kommunalen Gesellschaften (ÖPNV, Energie etc.), dem Kreis (Katasterdaten, Gesundheit etc.) und vielen anderen.

Diese Differenzierung sollte man im Blick haben, wenn man über Open Data in Kommunen spricht und entsprechende Angebote einfordert (über das ärgerliche Thema „Schnarchdaten“ habe ich an anderer Stelle schon geschrieben).

Nutzen, zeigt mir den Nutzen!

Zurück zur guten Frage des Kämmerers: Warum sollten wir das tun? Ich verweise also auf die bunte Welt offener Haushalte, in der mit einer innovativen, vereinfachten Darstellungsweise kommunales Finanzgeschehen nachvollziehbarer präsentiert wird und somit Bürgerinnen und Bürger einen besseren Zugang zu dieser komplizierten Materie erhalten. Ich füge hinzu, dass man es Interessierten durch die Zurverfügungstellung des Haushaltes in einem offenen, maschinenlesbaren Format die Umsetzung solcher Visualisierungen erheblich einfacher machen könnte. Das versteht man. Seitdem gibt’s den Moerser Haushalt in XML im Open Data-Portal. Sehr schön – und weiter?

Ganz frisch ist in NRW mit Blick auf die im Mai anstehende Kommunalwahl die Idee aufgetaucht, zum Thema Open Government Kommunalwahlprüfsteine zu entwickeln. Es ist im Entwurf u.a. zu lesen:

„Die Kommune verfügt über einen großen Bestand an nichtpersonenbezogenen Daten. Durch die Freigabe dieser Datenbestände in maschinenlesbarer Form (Open Data) können neue Serviceangebote entwickelt, die Bürgerbeteiligung gestärkt, die Wirtschaftsentwicklung forciert und Optimierungspotentiale erschlossen werden. Sollte Stadt XY ihre nichtpersonenbezogenen Daten auf einem Open Data-Portal zugänglich machen?“

Die Hervorhebungen sind von mir und weisen auf nur einen kleinen Teil der im Zusammenhang mit Open Data immer wieder genannten Vorteile. Behaupten kann ich jedoch vieles – aber steht der Beweis vielleicht noch aus? Ich frage also bewusst ketzerisch: Wo sind die coolen Anwendungen, die auf den kommunalen Daten basieren? Wo sind die Wissenschaftler, die mit den Daten die Forschung vorantreiben? Wo sind die Datenjournalisten lokaler oder regionaler Medien, die auch nur ein Interesse an Daten anmelden? Wo sind die Unternehmen, die innovative Ideen entwickeln oder überhaupt ein Vorstellung davon haben, wie sie die Daten wirtschaftlich gewinnbringend nutzen möchten? Auf was können kommunale Treiberinnen und Treiber also verweisen, wenn es an die Überzeugungsarbeit in Verwaltungsführung und Politik geht, z.B. in einer kleinen Kommune am Niederrhein?

Von der Hol- und der Bringschuld und dem Schneekönig

Ich spiele den Ball also ganz einfach mal zurück in das Feld der Community oder der netzpolitischen Protagonisten. Es reicht nicht, Open Data in eurer Kommune einzufordern und dabei auf Potenziale zu verweisen, deren Einlösung in den Sternen steht. Zeigt den Zaudernden, was man mit den Daten machen kann. Liefert Beispiele (aber bitte echte Open Data-Beispiele!), entwickelt Ideen. Allein der Hinweis auf die Minimalposition, die Daten seien doch durch Steuergelder finanziert und man habe daher einen Anspruch auf die Veröffentlichung, lockt keinen Zweifler hinter dem Ofen hervor. Wir geben euch Daten (auf GovData sind es zigtausende, in Moers über 70 Datensätze mit deutlich steigender Tendenz). Macht etwas damit. Anwendungen und Ideen liefern erheblich bessere Argumente als die gebetsmühlenartige Wiederholung von Forderungen und Nutzenbehauptungen!

Blicken wir konkret auf Moers. Was ist bisher geschehen? Hier hat sich in den ersten elf Monaten des Portals tatsächlich jemand wie ein Schneekönig über unsere Vornamenstatistiken der letzten Jahre gefreut, die uns das Standesamt geliefert hat, echte Schnarchdaten also, die nun mit anderen Daten in einer schönen, kleinen App zusammengeführt werden sollen (mehr wird nicht verraten). Das ist gut.

Ein echter Hammer und ein cooles Projekt

Aber in Moers (oder sagen wir besser: im Ruhrgebiet) hat sich die Community auch von ihrer besten Seite gezeigt. Auf Basis des von Marian Steinbach für Köln entwickelten alternativen Ratsinformationssystems Offenes Köln hat die Initiative OpenRuhr das Ratsinformationssystem der Stadt Moers mit Unterstützung der Open Knowledge Foundation Deutschland als offenes Ratsinformationssystem umgesetzt. Die Stadt Moers hat inzwischen die Inhalte des Ratsinformationssystems unter eine CC BY gestellt, nur technisch bewegen wir uns noch nicht im Bereich Open Data. Hier warten wir gespannt auf die Entwicklung des offenen Standards für Ratsinformationssystem OParl.

Die Ratsmitglieder, denen ich das System in einem Ausschuss präsentiert habe, waren davon angetan, und ich war froh, den Nutzen von Open Data an einem Beispiel mit lokalem Bezug verdeutlichen zu können.

Aktuell arbeiten wir mit zwei E-Government-Studenten der Hochschule Rhein-Waal und dem Moerser Gymnasium Adolfinum an einem Projekt, das den Nutzen von Open Data für den schulischen Unterricht verdeutlichen soll. In einer Studie von Fraunhofer Fokus für die Stadt Köln stand nämlich:

„Der grundsätzlich breite Themenraum, den offene Verwaltungsdaten zu verschiedenen fachlichen Bereichen wie Geographie, Biologie oder Umweltthemen abstecken können, kann die Zielgruppe Bildung in ihrer Arbeit unterstützen, indem diese Daten für die Wissensvermittlung an Schulen genutzt werden können. Akteure des Bildungssektors haben durch offene Verwaltungsdaten die Möglichkeit, aus einer vertrauenswürdigen Quelle aktuelle Daten, wie etwa die Verteilung von Bodenschätzen oder Bevölkerungsdaten, interaktiv in den Unterricht einzubinden und so über den Tellerrand des zumeist eher statischen Unterrichtsmaterials zu blicken.“

Das liest sich toll! Allein: Der Beweis für diese kühnen Feststellungen muss wohl erst angetreten werden. Und genau dies ist die Aufgabe des Projektes „Open Data und Schule“, zu dem es inzwischen im Wiki der Schule einen Eintrag gibt. Am Ende soll möglichst ein Vorgehensmodell stehen, das anderen Schulen zur Verfügung gestellt werden kann. Dazu sollen in Zusammenarbeit mit den Studenten, Schülern und den Lehrern inhaltliche Fragestellungen erarbeitet und technische Lösungswege beschrieben werden (z.B. Visualisierung von Daten; Vergleich bestehender Möglichkeiten mit den neuen Möglichkeiten, Beschreibung eines Toolkits). Das ist spannend und lehrreich. Lehrreich ist es auch deshalb, weil man feststellen musste, dass gerade unser Haushalt in XML-Form nicht geeignet ist, über eine Plattform wie https://openspending.org/ einfach visualisiert zu werden. Trotz toller Hilfe der via Twitter angesprochenen Community ist es bisher nicht gelungen, unseren Open Data-Haushalt für den Unterricht nutzbar zu machen (s. unsere Problemskizze). XML entspricht zwar den Open Data-Prinzipien, scheint aber für Offene Haushalte die falsche Dateiform zu sein…

Über die Verteilung der Rollen

Das Projekt ist nicht nur inhaltlich interessant, es weist auch auf die aktuellen Strukturen in der Open Data-Landschaft. Sei es dieses Projekt, seien es App-Wettbewerbe oder Einladungen zu Hackdays: Die kommunalen Treiber scheinen gezwungen, den Nutzen von Open Data selbst beweisen zu müssen. Man treibt die Community (hier im Sinne all derer zu verstehen, die von Open Data profitieren könnten) selbst zur Jagd! Weniger provozierend ausgedrückt könnte man sagen, dass wir es als unsere eigene Aufgabe sehen, die Rahmenbedingungen für die Nutzung von Open Data zu fördern. Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass sich hier klammheimlich ein witziger Rollentausch vollzieht, der eines offenlegt: Nicht nur die Verwaltung steht beim Thema Open Data am Anfang, sondern auch die Netzgemeinde.

Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit, dass beide Player ihre Rollen ernst nehmen und ausfüllen.